FAQ 11.1 | Wenn man das Wetter für den nächsten Monat nicht vorhersagen kann, wie kann man das Klima für das nächste Jahrzehnt vorhersagen?

Obwohl Wetter und Klima miteinander verflochten sind, handelt es sich tatsächlich um zwei verschiedene Dinge. Das Wetter ist als der Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort definiert und kann sich von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag ändern. Klima dagegen bezieht sich im Allgemeinen auf die Statistik der Wetterbedingungen über ein Jahrzehnt oder länger.
Eine Fähigkeit, das zukünftige Klima vorherzusagen, ohne notwendigerweise das Wetter korrekt vorherzusagen, ist normaler als es zunächst scheint. Zum Beispiel kann am Ende des Frühlings treffsicher vorhergesagt werden, dass die durchschnittliche Lufttemperatur während des kommenden Sommers in Melbourne (zum Beispiel) sehr wahrscheinlich höher sein wird als die durchschnittliche Temperatur während des letzten Frühlings – obwohl das tagtägliche Wetter während des kommenden Sommers nicht mit Exaktheit über eine Woche hinaus vorhergesagt werden kann. Dieses einfache Beispiel zeigt, dass es Faktoren gibt – in diesem Fall den jahreszeitlichen Zyklus der Sonneneinstrahlung auf der Südhalbkugel – die die Fähigkeit unterstützen können, Klimaänderungen in einem zukünftigen Zeitintervall vorherzusagen, die nicht von der Genauigkeit der Wettervorhersage für das gleiche Zeitintervall abhängig ist. Zu den statistischen Kennzahlen von Wetterzuständen, die für die Definition von Klima herangezogen werden, gehören Langzeitmittelwerte der Lufttemperatur und des Niederschlags sowie Angaben über deren Variabilität, wie die Standardabweichung der jährlichen Niederschlagsvariabilität vom Langzeitmittel oder die Häufigkeit der Tage unter 5 °C. Mittelwerte von Klimavariablen über längere Zeiträume werden als klimatologische Mittel bezeichnet. Sie können sich auf einzelne Monate, Jahreszeiten oder das ganze Jahr beziehen. Eine Klimavorhersage wird Fragen aufgreifen wie: „Wie wahrscheinlich ist es, dass die Durchschnittstemperatur des kommenden Sommers höher sein wird als das Langzeitmittel vergangener Sommer?“ oder: „Wie wahrscheinlich ist es, dass das nächste Jahrzehnt wärmer sein wird als vergangene Jahrzehnte?“. Gezielter könnte eine Klimavorhersage eine Antwort auf die Frage geben: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Temperatur (z. B. in China), gemittelt über die nächsten zehn Jahre, die Temperatur in China, gemittelt über die letzten 30 Jahre, übersteigt?“. Klimavorhersagen bieten keine Vorhersagen über die detaillierte Entwicklung des zukünftigen Wetters von Tag zu Tag. Stattdessen liefern sie Wahrscheinlichkeiten für langzeitliche Änderungen der statistischen Eigenschaften der Klimavariablen in der Zukunft. Wettervorhersagen dagegen bieten eine Prognose des täglichen Wetters zu bestimmten Zeitpunkten in der Zukunft. Sie helfen hinsichtlich von Fragen wie: „Wird es morgen regnen?“. Manchmal werden Wetterprognosen in Form von Wahrscheinlichkeiten angegeben. Zum Beispiel könnte die Wettervorhersage angeben, dass „die Regenwahrscheinlichkeit in Apia morgen 75 % beträgt“. Um exakte Wettervorhersagen zu erstellen, brauchen Meteorologen hochdetaillierte Informationen über den gegenwärtigen Zustand der Atmosphäre. Das chaotische Wesen der Atmosphäre hat zur Folge, dass sogar der kleinste Fehler bei der Darstellung der „Anfangsbedingungen“ typischerweise dazu führt, dass Vorhersagen über etwa eine Woche hinaus ungenau werden. Dies ist der so genannte „Schmetterlingseffekt“. Klimawissenschaftler versuchen oder behaupten nicht, die zukünftige Entwicklung des Wetters kommender Jahreszeiten, Jahre oder Jahrzehnte im Detail vorherzusagen. Es gibt jedoch eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für die Annahme, dass Aspekte des Klimas trotz des Schmetterlingseffektes vorhergesagt werden können, wenngleich unpräzise. Zum Beispiel führen Konzentrationserhöhungen langlebiger Treibhausgase in der Atmosphäre eher zu einer Erhöhung der Erdoberflächentemperatur in kommenden Jahrzehnten. Deshalb können Informationen aus der Vergangenheit helfen, das zukünftige Klima vorherzusagen, und tun dies auch. Einige Ausprägungen der natürlich vorkommenden sogenannten „internen“ Variabilität können – zumindest theoretisch – die Fähigkeiten erweitern, das zukünftige Klima vorherzusagen. Interne Klimavariabilität entsteht infolge natürlicher Instabilitäten im Klimasystem. Wenn eine solche Variabilität ausgedehnte, langanhaltende Temperaturanomalien im oberen Ozean verursacht oder beinhaltet, wird dies Änderungen in der darüber liegenden Atmosphäre antreiben, sowohl lokal als auch weiter entfernt. Das Phänomen El Niño–Southern Oscillation (ENSO) ist vermutlich das bekannteste Beispiel für eine solche interne Variabilität. Die mit ENSO verknüpfte Variabilität entfaltet sich auf eine teilweise vorhersagbare Art und Weise. Der Schmetterlingseffekt ist vorhanden, aber er benötigt mehr Zeit, um Teile der mit El Niño-Southern Oscillation verbundenen Variabilität stark zu beeinflussen. Meteorologische Dienste und andere Behörden haben dies ausgenutzt. Sie haben saisonale bis jährliche Vorhersagesysteme entwickelt, die es ihnen ermöglichen, saisonale Klimaanomalien mit einer nachweisbaren Vorhersagegüte routinemäßig vorherzusagen. Die Vorhersagegüte variiert merklich von Ort zu Ort und von Variable zu Variable. Sie tendiert dazu abzunehmen, je weiter die Vorhersage in die Zukunft reicht, und an einigen Orten ist sie überhaupt nicht gegeben. Der Begriff „Vorhersagegüte“ (skill) wird hier im technischen Sinne benutzt: Sie ist ein Maß dafür, um wie viel größer die Genauigkeit einer Vorhersage ist im Vergleich zur Genauigkeit einer normalerweise einfachen Vorhersagemethode, wie zum Beispiel der Annahme, dass gegenwärtige Anomalien über den Vorhersagezeitraum erhalten bleiben. Wettervorhersagen sowie saisonale bis jährliche und dekadische Vorhersagesysteme ähneln sich in vielfacher Weise (z. B. beinhalten sie alle die gleichen mathematischen Gleichungen für die Atmosphäre, sie müssen alle Anfangsbedingungen festlegen, um Vorhersagen zu initialisieren, und sie unterliegen alle Beschränkungen der Vorhersagegenauigkeit durch den Schmetterlingseffekt). Allerdings steckt die dekadische Vorhersage, anders als die Wettervorhersage und die saisonalen bis jährlichen Vorhersagen, noch in ihren Kinderschuhen. Gleichwohl zeigen dekadische Vorhersagesysteme einen gewissen Grad der Vorhersagegüte beim Erstellen von „Hindcasts“ (Rückberechnungen) der erdoberflächennahen Temperaturen für große Teile des Globus über Zeiträume von mindestens neun Jahren. Ein „Hindcast“ ist eine Vorhersage eines Ereignisses in der Vergangenheit, wobei nur Beobachtungen, die vor dem Ereignis gemacht wurden, in das für die Vorhersage genutzte Vorhersagesystem eingespeist werden. Man geht davon aus, dass sich der Großteil dieser Vorhersagegüte aus „externen Antrieben“ ergibt. „Externer Antrieb“ ist ein Begriff, der von Klimawissenschaftlern genutzt wird, um einen Antriebsfaktor außerhalb des Klimasystems zu bezeichnen, der eine Änderung innerhalb des Klimasystems verursacht. Dies schließt Konzentrationserhöhungen langlebiger Treibhausgase ein. Der Theorie nach sollte die Vorhersagegüte bezüglich des Niederschlages über ein Jahrzehnt geringer sein als die Vorhersagegüte bezüglich der Erdoberflächentemperatur über ein Jahrzehnt, und die Hindcast-Ergebnisse bestätigen diese Erwartung. Die aktuelle Forschung zielt auf eine Verbesserung der dekadischen Vorhersagesysteme ab und darauf, das Verständnis über die Ursachen der vorhandenen Vorhersagegüten zu vergrößern. Ein zentraler Punkt ist es, festzustellen, zu welchem Grad die zusätzliche Information aus interner Variabilität tatsächlich zu einer verbesserten Vorhersagegüte führt. Obwohl erwartet wird, dass sich die Vorhersagesysteme über die kommenden Jahrzehnte verbessern, werden das chaotische Wesen des Klimasystems und der daraus resultierende Schmetterlingseffekt der Vorhersagegüte immer unvermeidbare Grenzen setzen. Es existieren auch andere Unsicherheitsquellen. Zum Beispiel können Vulkanausbrüche das Klima beeinflussen, aber Zeitpunkt und Stärke eines Ausbruchs können nicht vorhergesagt werden, weshalb zukünftige Ausbrüche eine von mehreren zusätzlichen Unsicherheitsquellen darstellen. Des Weiteren ist die Kürze der Zeitspanne, für die ausreichend ozeanologische Daten vorhanden sind, um dekadische Vorhersagen zu initialisieren und zu bewerten, eine der größten Herausforderungen. Schlussendlich ist zu beachten, dass dekadische Vorhersagesysteme so konzipiert sind, dass sowohl extern angetriebene als auch intern erzeugte Quellen der Vorhersagbarkeit ausgenutzt werden. Klimawissenschaftler unterscheiden zwischen dekadischen Vorhersagen und dekadischen Projektionen. Projektionen nutzen nur die Vorhersageleistung aus externen Antrieben. Während bisherige IPCC-Sachstandsberichte sich ausschließlich auf Projektionen konzentrierten, bewertet dieser Bericht nun auch die Forschung zu dekadischen Vorhersagen und deren wissenschaftliche Grundlage.
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Diese deutsche Übersetzung sollte zitiert werden als:

IPCC 2014: Klimaänderung 2013: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Häufig gestellte Fragen und Antworten – Teil des Beitrags der Arbeitsgruppe I zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) [T.F. Stocker, D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S.K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex und P.M. Midgley (Hrsg.)]. Deutsche Übersetzung durch die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle und Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg, Bonn, 2017.