Permafrost

Wie viel Methan entweicht aus den Böden der Arktis?

Text: Katja Trippel

Die Überfliegerin

Wie viel Methan emittieren arktische Permafrostböden und renaturierte norddeutsche Moore? Katrin Kohnert und Kollegen am GeoForschungsZentrum Potsdam gehen in die Luft, um mehr über das Klimagas zu erfahren.

Schon an normalen Tagen hat es Dr. Katrin Kohnert mit ihrem Arbeitsplatz gut getroffen: Das Büro der Postdoktorandin im Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) liegt auf dem Potsdamer Telegrafenberg, inmitten duftender Kiefern, direkt neben dem legendären Einsteinturm-Observatorium, in dem Deutschlands wohl berühmtester Wissenschaftler ab 1924 mit Kollegen versuchte, seine Gravitationstheorie experimentell zu überprüfen. Erst recht strahlt Katrin Kohnert aber, wenn sie beginnt, von ihren Forschungsreisen in die Arktis zu erzählen. Da sitzt sie nämlich an Bord der Polar 5 – einer alten DC3-Maschine, die das Alfred-Wegener-Institut (AWI) zum Forschungsflugzeug umgebaut hat – und fliegt stundenlang über die sommerliche Tundra. Mal über das kanadische Mackenzie- Delta, mal über die Küstenlandschaft der North Slope in Alaska. Auf nur rund 50 Meter Höhe, sprich: mit freiem Blick auf ein Mosaik aus Grüntönen, die je nach Saison von lila Blüten oder weißem Wollgras gesprenkelt sind, auf sich windende Flussarme, Karibuherden und funkelnde Seen – zumindest dann, wenn der Monitor vor ihren Augen anzeigt, dass ihre Methan-Messungen wie gewünscht funktionieren. Denn, um die geht es eigentlich bei Kohnerts Forschungsflügen: Die Wissenschaftlerin erforscht seit 2013 gemeinsam mit Kollegen, der von Prof. Torsten Sachs geleiteten GFZArbeitsgruppe Erde-Atmosphäre-Wechselwirkungen, wie viel Methan die Böden der arktischen Tundra in die Atmosphäre emittieren, wenn sie im Sommer auftauen. Methan, das Klimagas mit einem Kohlenstoff- und vier Wasserstoff-Atomen (CH4), hat eine bis zu 28–Mal stärkere Treibhausgaswirkung als Kohlendioxid (CO2). „Nach derzeitigem Erkenntnisstand stammen über 55 Prozent der Methan-Emissionen aus dem Bergbau, entstehen durch Vieh- und Landwirtschaft sowie auf Mülldeponien. Sie werden also direkt vom Menschen verursacht“, weiß Katrin Kohnert. „Der Rest wiederum stammt aus natürlichen Quellen, vor allem aus Feuchtgebieten, wo es im Boden, in Tümpeln oder in Seen infolge natürlicher Fäulnisprozesse entsteht.“ Doch auch da kommt zunehmend der Mensch ins Spiel. Denn während dauerhaft gefrorene Böden organischen Kohlenstoff halten wie eine geschlossene Eistruhe, passiert auf Böden, die infolge der Klimaerwärmung auftauen, das Gegenteil: Der Deckel öffnet sich, die mikrobielle Zersetzung beginnt und entlässt Methan in die Atmosphäre.

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Kohlenstoffspeicher Moor
Die Permafrost-Zone umfasst etwa ein Viertel der Landfläche der nördlichen Hemisphäre. Tatsächlich permanent gefroren sind davon etwa 15 Mio. km², zumeist in der Arktis. Doch ausgerechnet sie erwärmt sich schneller und stärker als andere Regionen der Erde. Moore wiederum bedecken nur drei Prozent der Erdoberfläche, speichern aber 25 Prozent des organischen Boden- Kohlenstoffs; das entspricht dem Doppelten dessen, was global in Wäldern gespeichert ist. Beide Landschaftstypen sind klimatisch also äußerst bedeutsam. Um die Klimawirkung der Permafrostböden genauer einschätzen zu können, ermittelt Katrin Kohnert beim Flug über ihre bis zu 100 0 00 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiete Daten zum natürlichen Gasaustausch. Für das Projekt „Airborne Measurements of Methane Fluxes“ oder kurz AIRMETH haben AWI-Techniker die alte DC3 in wochenlanger Vorarbeit mit diversen Messgeräten ausgestattet: Vorne am Bug befinden sich Sensoren für Temperatur und Feuchte sowie für Windstärke und -richtung. Über eine Öffnung im Dach des Flugzeuges pumpt ein Rohrsystem Außenluft in einen Gasanalysator, der die Gaskonzentration von Kohlendioxid und Methan sowie den Wasserdampfgehalt in sehr hoher Geschwindigkeit aufzeichnen kann. „Auf einer Flughöhe von rund 50 Metern können die Messsysteme die Austauschprozesse zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre gut erfassen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Sprich: Nur dann können sie zum einen messen, wie viel Kohlendioxid der Vegetation durch Photosynthese entzogen wird, und zum anderen, wieviel Methan freigesetzt wird. Katrin Kohnerts Aufgabe war es, die Flug-Kampagnen bis ins Detail vorzubereiten. „Ich kümmere mich um die Planung der Flugroute. In der Luft wiederum muss ich darauf achten, dass der Druck im Gasanalysator stabil bleibt, sonst ist alles für die Katz‘.“

Eine gute Nachricht
Vier Wochen blieb ihr Team pro Forschungskampagne jeweils vor Ort, untergebracht sind die Wissenschaftler häufig in Gemeinschaftsunterkünften mit „Wellblechhüttenrustikal- Charme“, wie Katrin Kohnert sie grinsend nennt. „Man muss sich schon mögen, damit das klappt“, lacht auch Teamleiter Torsten Sachs, „erst recht, wenn wegen schlechten Wetters oder technischer Probleme der Flugplan durcheinandergerät. Ist ja schließlich kein Urlaub.“ Für ihre Doktorarbeit, die sie Ende 2018 verteidigte, hat Katrin Kohnert neben ihren Messdaten auch Informationen aus Satellitenbildern in die Analyse einbezogen. „Mich interessierte, ob es räumliche Muster bei den Emissionen gibt, etwa ob Seen mehr Methan ausstoßen“, berichtet sie. Ihre Ergebnisse stellt sie auf Karten dar – eine Pionierarbeit, die auf extrem aufwändigen Rechenverfahren basiert und deren Ergebnisse die Arbeitsgruppe durchaus überraschten. „Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass zumindest in Alaska die Böden nicht so viel Methan emittieren wie stationäre Messungen der Kollegen am Boden es vermuten ließen“, fasst Katrin Kohnert zusammen. „Und auch Seen und Tümpel, die als „Hot-Spots“ verdächtigt waren, verhalten sich eher unauffällig.“ Torsten Sachs ergänzt: „Das ist zumindest klimatechnisch eine eher gute Nachricht.“ Auch in Norddeutschland, genauer: in Moorgebieten Mecklenburg-Vorpommerns, misst Sachs‘ Team Klimagas-Emissionen. Viele Hundert Hektar entwässerte und intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen wurden dort nach der Wende zu Feuchtbiotopen renaturiert, damit Tiere und Pflanzen wieder natürlich wachsen und gedeihen können - aber auch, um die hohen CO2-Emissionen zu senken, die bei der Nutzung trockengelegter Moorböden entstehen. Insgesamt sollen sich auf einer Fläche von 37 000 Hektar wieder Moore bilden. Welchen Klimaeffekt die Renaturierungsmaßnahmen haben, messen die Potsdamer Experten auch hier aus der Luft, allerdings mit einem Motorsegler und aufgrund der vielen Strommasten und Windkraftanlagen auf 150 Meter Höhe. Zusätzlich betreiben sie gemeinsam mit Rostocker Kollegen stationäre Messtürme und weitere Bodenmessungen. Ihr vorläufiges Ergebnis lautet: Was dem Natur- und Artenschutz dient, hat nicht zwangsläufig sofort positive Klimaeffekte: „Nachdem das Hütelmoor an der Ostseeküste bei Rostock im Jahr 2009 geflutet wurde, stieg der Methan-Ausstoß zunächst um das 100-fache an“, berichtet Torsten Sachs. „Schon 2011 haben sich die Emissionen auf etwa ein Drittel reduziert, aber dieses Niveau bleibt seither relativ konstant“. Emissionen halten an Im Polder Zarnekow an der Peene, dessen Deiche 2005 durchstochen wurden, warten die Wissenschaftler hingegen bis heute, dass der Methanausstoß deutlich sinkt. Auch Kohlendioxid wurde bislang deutlich mehr emittiert als sie erwarteten. Im Jahr 2018 war der Polder erstmals eine CO2-Senke. „Die dortigen massiven landwirtschaftlichen Umwelteingriffe haben offenbar sehr langfristige Folgen“, sagt Sachs. Ein Grund könnte sein, dass in den wiedervernässten, einst intensiv gedüngten Böden genügend methan-produzierende Urbakterien (Archaeen) leben, die das verfügbare Biomaterial für ihren Lebensunterhalt zersetzen und dabei Methan abgeben, ihre Gegenspieler, die Oxidierer, aber mehr Zeit brauchen, um sich zu etablieren. Die Klimaexperten schlagen daher vor, bei künftigen Renaturierungsprojekten die oberen Bodenschichten abzutragen, bevor man die Fläche flutet. „Im besten Fall lassen sich so negative Effekte verringern“, hofft Sachs. Auch wenn noch viele Fragen zur Klimawirkung von Moorund Permafrostgebieten offen sind, scheint eines doch klar für das Potsdamer Team: Ungestörte Feuchtgebiete garantieren, dass wenig Kohlendioxid und Methan freigesetzt werden. Menschliche Eingriffe jedoch können das Gleichgewicht der fragilen Biotope langfristig zerstören und sollten daher im Vorfeld umso besser überlegt sein.

Praxisbezug

Bei uns treffen Welten aufeinander

Klimathemen auf dem Berliner Filmfestival: Kann das gutgehen? Und ob, sagt Anna Kalbhenn, Projektleiterin und Co-Kuratorin der Berlinale-Sonderreihe „NATIVe – a Journey into Indigenous Cinema“. Seit nunmehr drei Jahren bringen sie, die DEKRA Hochschule für Medien Berlin und REKLIM erfolgreich Forscher und Filmschaffende zusammen und das Kinopublikum kommt in Scharen.

Frau Kalbhenn, seit 2017 organisieren Sie zusammen mit dem Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg am Alfred-Wegener- Institut Berlinale-Veranstaltungen, bei denen sich Forscher mit Filmschaffenden austauschen. Wie kam es dazu?

Anna Kalbhenn: Ein bisschen durch Zufall: Die DEKRA Hochschule für Medien Berlin und REKLIM hatten in jenem Jahr den Fokus ihrer langjährigen Medien-Kooperation auf das Thema Permafrost gerichtet – unter anderem, weil die Verantwortlichen im Jahr davor in die russische Teilrepublik Jakutien gereist waren und dort viele Kontakte zu indigenen Gemeinschaften geknüpft hatten. Aus dieser Arbeit entstand dann die Idee, bei der Berlinale eine gemeinsame Gesprächsrunde über Klimawandel und indigenes Leben zu initiieren und REKLIM an Bord zu holen. Ein Thema, das sowohl Wissenschaftler als auch Filmmenschen interessiert.

Und wie läuft das ab?

Passend zu den Regionalschwerpunkten von NATIVe – bislang ging es um die Arktis sowie um Inseln im Pazifik – luden wir zusammen mit REKLIM und der DEKRA Hochschule für Medien zu einer Diskussionsveranstaltung mit verschiedenen Experten ein: Forscher, Regisseure, Produzenten. Im Jahr 2017 war eine Filmproduzentin aus Jakutien dabei, in 2018 eine Schriftstellerin aus Tahiti, deren Poesie in einen Dokumentarfilm einfloss, und in diesem Jahr eine Filmschaffende von den Salomoninseln – und natürlich das Publikum. Da entwickeln sich schnell spannende Gespräche und manchmal auch neue Projekte.

Kommt die Veranstaltung gut an?

Sehr gut sogar, gerade weil Welten aufeinandertreffen, die sich sonst selten begegnen: Kunst, Film, Wissenschaft und interessierte Zuschauer. Die Leute erfahren, wie indigene beziehungsweise wissenschaftliche Experten die Zeichen und Folgen der Klimaerwärmung jeweils einschätzen. Und alle lernen ein Stück weit voneinander, wie sich das Thema in die Öffentlichkeit tragen lässt. Wir als Filmfestival wiederum freuen uns, wenn wir mit solchen Formaten einen Bewusstseinswandel anstoßen.

ANNA KALBHENN ist Projektleiterin und Co-Kuratorin der Sonderreihe „NATIVe – a Journey into Indigenous Cinema“ bei der Berlinale. NATIVe bietet indigenen Filmschaffenden aus aller Welt eine Bühne, kurze und lange Spiel- und Dokumentarfilme zu zeigen.

VORAUSGEDACHT

„Im Moment ist noch sehr unsicher, wie viel Methan in der Arktis und in Moorgebieten tatsächlich freigesetzt wird, weil es uns an Verständnis und Daten für die komplexen Systeme mangelt. Mit meinen Messungen will ich helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.“

KATRIN KOHNERT,
Umweltwissenschaftlerin am Deutschen GeoForschungZentrum (GFZ) und am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

KOMPAKT

  • Tauen Permafrostgebiete auf, emittieren sie das klimaschädliche Gas Methan. In welchen Mengen, wird derzeit erforscht.

  •  Mit Hilfe von Turmmessungen sowie tieffliegender, speziell ausgerüsteterFlugzeuge lässt sich der Gasaustausch großräumig dokumentieren.

  •  Renaturierungsprojekte in norddeutschen Mooren wirken sich positiv auf Natur- und Artenschutz aus. Im Hütelmoor und im Polder Zarnekow wurden bislang eher negative Klimaeffekte beobachtet. Es macht daher Sinn, die Renaturierungsmethoden zu optimieren.

Beteiligte Helmholtz-Forschungszentren: AWI, GEOMAR, GFZ, HZG