Schwere Juli Regenfälle und Überschwemmungen im Westen Deutschlands: Entwicklung einer Tragödie!

22.07.2021

Ein Beitrag von Monica Ionita, Patrick Scholz und Klaus Grosfeld (AWI)

Überschwemmungen stellen die am weitesten verbreitete Naturgefahr auf der Erde dar, mit Verlusten von zahlreichen Menschenleben und materiellen Schäden in großem Umfang. Nach Angaben des UN-Büros für Kathastrophenvorsorge und -risikominimierung (United Nations Office for Disaster Risk Reduction, UNDRR) machen Überschwemmungen bis zu 43% der gesamten Naturgefahren aus. Im Zeitraum vom 12.07. - 14.07.2021 kam es im westlichen Teil Deutschlands, Belgiens und der Niederlande zu historischen Regenfällen (Abbildung 1) und Überschwemmungen, bei denen allein in Deutschland mehr als 160 Menschen ums Leben kamen (Stand 18.07.2021) und mehr als 1.000 Menschen vermisst wurden. Die rekordverdächtigen Niederschlagsmengen, die in weniger als 72 Stunden fielen (Tabelle 1), veranlassten die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Öffentlichkeit zu der Frage: Wurden die Starkregenereignisse und die anschließenden Überschwemmungen durch Klimaänderungen verstärkt? Wird die Häufigkeit solcher Ereignisse in Zukunft zunehmen? War das katastrophale Ausmaß vorhersehbar? Insgesamt sind sich die Klimawissenschaftler in einem Punkt einig: Durch den Klimawandel wird die Häufigkeit von Extremereignissen (u.a. Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, Kälteeinbrüche etc.) in Zukunft zunehmen, so dass wir neben generell verstärkten Bemühungen für den Klimaschutz unsere Management- und Anpassungsmaßnahmen an Extremereignisse entsprechend ändern müssen. Klimaprojektionen haben bereits vor einer möglichen Zunahme extremer Niederschlagsereignisse gewarnt, die zu häufigeren und extremeren Hochwasserereignissen führen werden (IPCC, 2018). Unter Klimaszenarien ohne signifikante Klimaschutzmaßnahmen (z. B. ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 3 - 5° C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gemäß RCP8.5) könnten sich die direkten Schäden durch Hochwasser im 21. Jahrhundert verdreifachen (Alifieri et al., 2017), wenn keine Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden.

Gerade in den letzten ca. 30 Jahren gab es in Deutschland eine relativ hohe Anzahl von extremen Sommerhochwassern (z.B. Juli 1997 - Oder, Mai 1999 - Donau, 2002 - Elbe und Donau, 2005 - Donau, 2013 - Elbe und Donau, u.a.), mit katastrophalen Folgen für die Menschen, die in der Nähe des Überschwemmungsgebietes lebten, aber auch mit außergewöhnlich hohen monetären Schäden (z.B. verursachte allein das Elbehochwasser 2002 Schäden in Höhe von 17 Mrd. €) (Weitere Informationen zum Hochwasserereignis 2002 in der Stadt Grimma und wie sich Kommunen vorbereiten können, siehe hier). Diese Ereignisse wurden durch die Geschehnisse vom 12. bis 14. Juli 2021 in allem bisher Vorstellbaren übertroffen und könnten neue Rekorde sowohl in Bezug auf die Zahl der Todesopfer und die monetären Schäden als auch in Bezug auf die Hochwasserspitzen und die Niederschlagsmenge aufstellen. Eines, der am stärksten betroffenen Gebiete war Ahrweiler (Rheinland-Pfalz), wo mehr als 110 Todesopfer zu beklagen sind. Am 15. Juli um 4:00 Uhr morgens wurde am Pegel Altenahr ein rekordverdächtiger Wasserstand der Ahr von 574 cm registriert, der unter normalen Bedingungen weit weniger als ein Meter beträgt. Der bisherige Rekordwasserstand wurde am 2. Juni 2016 mit einem Wert von 371 cm gemessen (Quelle: https://www.hochwasser-rlp.de).

Das Extremereignis im Juli 2021 wurde durch einen schwachen, instabilen und verschobenen Jetstream ausgelöst, der ein Tiefdrucksystem in eine stationäre Position und damit zur Rezirkulation über Mitteleuropa zwang, was zu außergewöhnlich hohen Niederschlagsraten in einzelnen Regionen führte (Abbildung 1 und Tabelle 1). Durch die Rezirkulation saugte dieses Tiefdrucksystem extrem warme und feuchte Luft aus der Adria und der Ostsee an (~25° C in der Adria und ~26° C in der Ostsee) und vermischte diese mit kalten Luftmassen aus dem Nordatlantik, was zur Bildung von schweren Gewittern mit Starkregenfeldern über Mitteleuropa führte. Angetrieben durch die Orographie und den Auftrieb der Luftmassen im Tiefdrucksystem kondensierte die Feuchtigkeit in den Wolken und fiel als Starkregen nieder. In einigen Teilen von Nordrhein-Westfalen (NW) und Rheinland-Pfalz (RP) wurde in den ersten beiden Juliwochen eine Niederschlagsmenge registriert, die ungefähr 250 % über dem normalen klimatologischen Mittel für diesen Monat lag. Der höchste maximale Tagesniederschlag wurde an der Station Köln-Stammheim (NW) am 14.07.2021 gemessen: 153,5 mm (Abbildung 1c), gefolgt von der Station Kall-Sistig (NW): 144,8 mm und der Station Dahlem-Schmidtheim (NW) mit einer maximalen Tagesniederschlagsmenge von 129,2 mm.  Ein instabiler (z. T. wellenförmiger), langsamer Jetstream wird normalerweise mit anomalem Wetter und dem Auftreten von Extremereignissen (z.B. Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen) in Verbindung gebracht. Der Jetstream (Abbildung 2a, Animation 1 - Jet) wird in erster Linie durch den Temperaturunterschied zwischen den polaren und den mittleren Breiten angetrieben. Die Abschwächung des zonalen mittleren Jets ist im Allgemeinen auf die Verringerung des Temperaturgradienten zwischen dem Äquator und dem Pol zurückzuführen, der durch die sich ändernden Oberflächenbedingungen verursacht wird. Eine mögliche Ursache für die Abschwächung des polaren Jetstreams könnte die Tatsache sein, dass sich die Temperatur über den Polarregionen mit einer zwei- bis dreifach höheren Rate als am Äquator erwärmt. Ausdruck der Erwärmung der Arktis ist der kontinuierliche Rückgang der sommerlichen Meereisausdehnung, die heute nur noch bei etwa der Hälfte der Fläche seit Beginn der kontinuierlichen Aufzeichnung durch Satellitenmessungen im Jahr 1979 liegt (mehr dazu unter www.meereisportal.de). Besonders im Sommer und Herbst wirkt sich die Abschwächung des Jetstreams deutlich aus und führt zu langsamer ziehenden Stürmen über Europa, wie im Falle des aktuellen Ereignisses. Zu Beginn der letzten Woche (12.07.2021) befanden sich zwei Antizyklone (Hochdruckgebiete) auf der Nordhalbkugel: ein Hochdruckgebiet, das die hemisphärische Zirkulation über Russland und der skandinavischen Halbinsel blockierte und das Azorenhoch über dem Atlantik (Abbildung 2b - Buchstabe H, Animation 2 - Z500). Im Allgemeinen sind Antizyklone große Wettersysteme, die tagelang, manchmal sogar wochenlang, am selben Ort verbleiben. Zwischen diesen beiden "Giganten" war ein Tiefdruckgebiet über Mitteleuropa gefangen (Abbildung 2b - Buchstabe T). Da das Tiefdrucksystem zwischen den beiden Antizyklonen blockiert wurde, konzentrierten sich die Niederschläge und die daraus resultierenden Überschwemmungen auf die Regionen, die unter dem Einfluss der zyklonalen Zirkulation (Zirkulation entgegen dem Uhrzeigersinn auf der Nordhemisphäre) standen (Abbildung 2). Aus synoptischer Sicht handelte es sich bei dem Tiefdrucksystem, das zu den starken Regenfällen führte, um eine Großwetterlage vom Typ "Tief Mitteleuropa (Tm)", die in der Regel starke Niederschlagsepisoden und Überschwemmungen mit sich bringt, insbesondere wenn sie mit einem Höhentief verbunden ist, wie es in der aktuellen Situation der Fall war (Abbildung 2b und Abbildung 3).

Werden solche Ereignisse in Zukunft häufiger vorkommen? Wird das Ausmaß eines solchen Ereignisses noch zunehmen? Die Antwort ist ziemlich einfach: Ja! Wir müssen bedenken, dass jedes Grad Erwärmung, das dem Klimasystem hinzugefügt wird, ungefähr 7% mehr Wasserdampf in der Atmosphäre bedeutet, der in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik und des hydrologischen Zyklus an irgendeinem Punkt ausfallen muss. Die Frage ist also nicht, OB solche Ereignisse häufiger auftreten werden, sondern WANN und WO? Insgesamt waren die letzten Wochen das perfekte und gleichzeitig auch grausame Beispiel dafür, wie schlecht es für die Mensch ausgehen kann. Wenn man sich ansieht, was in den letzten drei Wochen an Extremereignissen auf der Erde passiert ist (z. B. die rekordverdächtigen Temperaturen in Kanada und im Death Valley (U. S) mit Temperaturen über 50 ° C und Waldbränden, katastrophale Sturzfluten und Erdrutsche in Japan, Waldbrände in Kalifornien, starke Regenfälle und Überschwemmungen in Deutschland, tödlicher Tornado in Tschechien, rekordverdächtige Temperaturen in der Antarktis (+18°C) und die Liste lässt sich fortsetzen), dann ist klar, dass wir uns in einer Klimanotsituation befinden und wir unsere Klimaziele einhalten und nachhaltige Lösungen finden müssen. Das Schwungrad der Klimakrise kann nicht einfach zurückgedreht werden. Die Wissenschaft hat klar formuliert, dass uns nur noch wenige Jahrzehnte bleiben, um auf den Pfad einer moderaten gemäßigten Klimaerwärmung einzulenken, die den globalen Temperaturanstieg auf möglichst unter 2° C begrenzt. In Deutschland haben wir heute bereits eine durchschnittliche Erwärmung von 1,6° C gegenüber der vorindustriellen Zeit erreicht. Es ist dringend Zeit, jetzt entschlossen zu handeln!

Referenzen:
Alfieri, L., Bisselink, B., Dottori, F., Naumann, G., de Roo, A., Salamon, P., Wyser, K., Feyen, L., 2017:  Global projections of river flood risk in a warmer world. Earth Future, 5, 171–182.

IPCC, 2018: Summary for Policymakers. In: Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, H.-O. Pörtner, D. Roberts, J. Skea, P.R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J.B.R. Matthews, Y. Chen, X. Zhou, M.I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock, M. Tignor, and T. Waterfield (eds.)]. World Meteorological Organization, Geneva, Switzerland, 32 pp.


Ansprechpartner:
Monica Ionita, Patrick Scholz und Klaus Grosfeld

(Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven)